450 Jahre Augsburger Religionsfrieden

Organisatoren
Europäische Melanchthon-Akademie Bretten
Ort
Bretten
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2005 -
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Von
Konrad Fischer, Europäische Melanchthon-Akademie

Die Europäische Melanchthon-Akademie (EMA) Bretten, gefördert von der Landesstiftung Baden-Württemberg und unterstützt von der Evangelischen Landeskirche in Baden, hat sich im Zusammenhang ihres Arbeitsauftrags "Erforschung der Bedeutung des Reformators, Humanisten und Universalgelehrten Philipp Melanchthon in historischer und aktueller Perspektive" (Arbeitsprogramm EMA) das Ziel gesetzt, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich Frühe Neuzeit, Reformationsgeschichte und Geschichte des konfessionellen Zeitalters eine Plattform zu bieten, die ihnen erlaubt, im interdisziplinären Diskurs ihre Forschungsprojekte vorzustellen und den jeweiligen Arbeitsstand kritisch zu bilanzieren.

An dem anlässlich des 450. Jahrestages der Unterzeichnung des Augsburger Religionsfriedens erstmals ausgerichteten Forum waren Graduierte aus den Fachbereichen Theologie, Germanistik und Geschichtswissenschaften verschiedener deutscher Hochschulen mit Forschungsprojekten aus dem sachlichen und zeitlichen Umfeld des Augsburger Religionsfriedens vertreten.

Christiane Lange, Kiel, referierte ihr Forschungsvorhaben mit dem Arbeitstitel "Spalatins Briefwechsel" auf dem Hintergrund einer bisher eher schmalen Forschungslage. Auf 1906 datiert eine Arbeit, die sich Spalatins Korrespondenz mit Luther bis zum Jahr 1525 widmet (G. Berbig). Die Biographie von I. Höss erschien 1956 (bearbeitete Neuauflage 1989). Spalatins Briefwechsel ist bisher lediglich in kleinerem Umfang ediert. Langes noch in der Konzeption befindliche Dissertation wendet sich nach bisherigem Planungsstand schwerpunktmäßig den Jahren 1518 bis 1521 sowie den Korrespondenzen in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts zu, um die Bedeutung eines Diplomaten aus der zweiten Reihe der Reformationspersönlichkeiten für die Etablierung und Sicherung der Reformation unter Nutzung einer weit verzweigten humanistischen Netzwerkkommunikation sichtbar zu machen.

Über das Scheitern reformatorischer Bemühungen berichtete Andreea Bianca Badea, Bayreuth, unter dem Arbeitstitel "_Die Absetzung geistlicher Herrscher im römisch-deutschen Reich der frühen Neuzeit". Die Untersuchung bearbeitet ihr Thema im Blick auf die gescheiterte Reformation in Kurköln unter dezidiert rechthistorischer Perspektive. Gefragt wird nach den rechtlichen Argumentationssträngen und den dahinter liegenden politischen Motivationen im Konflikt zwischen Kurfürst Hermann von Wied und den von ihm berufenen Reformatoren Bucer und Melanchthon einerseits und dem Kölner Domkapitel anderseits. In der Verflochtenheit von politischer und rechtlicher Entwicklung wird zugleich die Politikhaltigkeit der die Kölner Debatte bestimmenden theologischen Formeln geklärt.

Bent Jörgensen, Burgau / Augsburg, untersucht unter dem Titel "Zwischen Konfrontation und Kompromiss. Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen im 16. und 17. Jahrhundert" anhand der Reichstagsakten des 16. und 17. Jahrhunderts die Entwicklung einer auf Ausgleich bedachten administrativen Terminologie als Vorbedingung der gegenseitigen Gesprächsfähigkeit der streitenden Religionsparteien. Dabei spielt der Augsburger Religionsfrieden insofern eine bedeutende Rolle, als hier mit der Bezeichnung "Augsburger Konfessionsverwandte" für die reformatorischen Territorien und "Stände der alten Religion" Formeln gefunden wurden, die bis zum Ende des alten Reiches weithin in Geltung standen. An der internen Kommunikation der streitenden Parteien zeigt sich die zur Dissimulation neigende Schwäche der auf Neutralität zielenden administrativen Formeln, wofern der innere diplomatische Verkehr durch eine die gegnerische Partei ausgrenzende bzw. abwertende Sprachführung ("Stände so sich der alten Religion nennen" u.ä.) gekennzeichnet bleibt. Auf Basis ihrer semantischen und hermeneutischen Untersuchungen leistet die Arbeit einen Beitrag zur Bedeutung von Sprache für das Ge- bzw. Misslingen von Kommunikation und Konfliktbearbeitung.

Bildungshistorische und bildungssystematische Überlegungen waren u.a. vertreten mit der Arbeit von Christine Absmeier, Stuttgart, die "Das schlesische Bildungswesen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts" erforscht. Die schlesische Landschaft ist im Reformationszeitalter durch ein aufblühendes Bildungswesen charakterisiert. Mit dem "Illustren Gymnasium" in Goldberg entsteht bereits vor dem Augsburger Religionsfrieden eine schlesische Bildungsstätte auf hohem Niveau (1546). Später folgen illustre Gymnasien in Breslau (St.Elisabeth, 1562) und Brieg 1564. Auch Schweidnitz (1561) firmiert unter diesem Titel, gelangt aber nicht zu vergleichbarer Bedeutung. Entscheidende Impulse der Bildungsorganisation gehen von dem von Philipp Melanchthon initiierten und quer durch die schlesischen Stände gepflegten Netzwerk schlesischer Humanisten aus. In einer spezifisch irenischen Allianz geistlicher und weltlicher Eliten wird Bildung als zentraler Wert etabliert und der gebildete Christ als Idealtypos des Menschen begriffen. Bereits vor dem Augsburger Religionsfrieden herrscht im Spiegel des Bildungsdenkens ein weithin konfliktfreies Nebeneinander der Konfessionen. Problematisch für den zeitgenössischen schlesischen Kontext, der unter einvernehmlicher Abgrenzung vom Gedankengut Kaspar von Schwenckfelds das Profil einer späthumanistisch geprägten schlesischen Toleranz gewinnt, bleibt das Verhältnis von Bildung und Rechtfertigung. Angesichts eines schlesischen Philippismus, der Bildung als Grunderfordernis für den wahren Glauben wie für die Erlangung der Seligkeit postuliert, stellt sich theologisch die Frage nach dem meritorischen Gehalt des Bildungsprozesses.

Stefan W. Römmelt, Würzburg / München, untersuchte in seinem Beitrag "Erinnerungsbrüche - Die Jubiläen des Augsburger Religionsfriedens von 1655 bis 1955". Deutlich wird die Inanspruchnahme des Augsburger Vertrags für die Ausbildung einer lutherischen Identität in ihrer Verflochtenheit mit den Dynastien der jeweils lutherisch geprägten Territorien. An erster Stelle steht hier Kursachsen als Ursprungsland der Reformation, aber auch in anderen lutherisch geprägten Gebieten und Städten, darunter Württemberg, Frankfurt a. M. und Hamburg, lässt sich die identitätsstiftende Funktion der Zentenarien des ARF nachweisen. Als Spitzenpunkte der Jubiläumskultur können die Wittenberger Feiern der Jahre 1655 und 1755 gesehen werden. Die konfessionelle Engführung der Jubiläen zeigt sich in der Ausblendung konfessionell problematischer Bestimmungen des Religionsfriedens ebenso wie in der Verknüpfung der Gedächtnissprache mit kontroverstheologischer Polemik. Noch im Jahr 1955 ist das Vorfeld der in Augsburg stattfindenden Jubiläumsfeiern kontroverstheologisch bestimmt. Bischof Hans Lilje, niedersächsischer Lutheraner, markiert in dieser Situation mit der Charakterisierung des ARF als Einstieg in "die Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung" den Beginn einer Neubewertung des Vertrags vom 25. 9. 1555 unter der Perspektive der ökumenischen Gesprächsfähigkeit.

Extern und schriftlich hat sich Wibke Janssen, Bonn, mit ihrer Dissertation "'Zum Gespräch geboren'. Der Beitrag Philipp Melanchthons zu den Religionsgesprächen von 1540/41 in Hagenau, Worms und Regensburg" am Brettener Graduiertenforum beteiligt. Die Arbeit untersucht Melanchthons Haltung zur Frage eines allgemeinen Konzils im Vorfeld der Verhandlungen von 1540/41. Einen Schwerpunkt im Rahmen der Reichsreligionsgespräche bildet die Analyse des Kolloquiums zwischen Eck und Melanchthon über die Erbsünde auf dem Wormser Gesprächstag. Erörtert wird die Rolle Melanchthons in den theologischen Verhandlungen während des Regensburger Reichstags auf der Basis des von Bucer und Capito mit Gropper und Veltwyck in Geheimgesprächen entwickelten (überarbeiteten) sog. "Wormser Buches". Die trotz Scheiterns der Religionsgespräche von 1540/41 ungebrochene Wertschätzung Melanchthons von Gesprächen zur Klärung theologischer Kontroversfragen steht im Blickfeld der Untersuchung. Sie diskutiert Melanchthons Wirken im Spannungsfeld von Theologie und politischer Entscheidungsfindung. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Herausarbeitung eines eigenständigen Profils Melanchthons in der Geschichte der Reformation und seinem Versuch, Wege zu finden, theologische Überzeugung und die Suche nach Verständigung zu vereinbaren.

Leitend in der Zielstellung des Forums war nicht zuerst die Evaluation der Forschungserträge, sondern das Angebot von Kontakt (u.U. über die Tagung hinaus) und Anstiftung zu reziproker Kommunikation auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Diese Zielstellung konnte unter der ausgeprägten Bereitschaft der Teilnehmenden, sich auf das fachübergreifende Gespräch einzulassen, vollständig erfüllt werden. Die EMA nimmt den Ertrag des Forums zum Anlass, auf 23./24. September 2006 erneut ein Graduiertenforum auszuschreiben. Beabsichtigter Themenschwerpunkt: Kirchenordnung und Verfassung - der Beitrag des konfessionellen Zeitalters zur Genese des modernen Staates.


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